Philipp Schmidt

 

Director of Digital Learning and Collaboration am MIT Media Lab.

Philipp Schmidt Urheberrecht: © Diana Levin, CC-BY-SA

Krise und Chance – neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Hochschule

Die COVID-19-Pandemie war und ist eine beispiellose humanitäre Krise, welche in besonderem Ausmaß auch Bildungsinstitutionen herausgefordert hat. Gleichzeitig bot und bietet die Krise auch eine Chance, aus dem Schatten der Tradition herauszutreten, digitale Lehre und Forschung zu wagen, und Hochschule neu zu gestalten.

Im März 2020 wurde die Digitalisierung der Hochschule schlagartig nicht nur nötig, sondern auch möglich. Budgets für Technologie wurden in rasantem Tempo aufgestockt, und institutionelle Freiräume für neue Gestaltungsansätze geschaffen. So wurde am MIT die Notenvergabe kurzerhand ausgesetzt, was neben einem kollektiven Aufatmen der Studierenden, auch zu einer großen pädagogischen Experimentierfreudigkeit der Lehrenden führte. Das Resultat waren zahlreiche neue Beispiele dafür, wie Digitalisierung in den Hochschulen kreativ und nachhaltig gestaltet werden kann.

Gleichzeitig bleiben Bedenken gegen den Daten-Kolonialismus internationaler Technologiekonzerne berechtigt, wurden soziale Disparitäten noch sichtbarer, und der Schritt von erfolgreichen Experimenten zur strategischen Priorisierung ist weiterhin nicht leicht. Die Tatsache, dass in vielen OECD-Ländern die Hochschullehre online weitergeführt werden konnte, ist nicht zwangsläufig immer einer effektiven Strategie zu verdanken, sondern oft der individuellen Kreativität, Flexibilität und dem enorm hohen Engagement vieler Lehrenden und Studierenden. Diese Energie kann genutzt werden, um aus der Hochschule heraus neue Modelle für eine öffentliche und gesellschaftlich- verantwortliche Bildungsinfrastruktur zu entwickeln.

Eine weitere Erfahrung aus der Pandemie ist, dass sich Lehre digital einfacher umsetzen lässt als Forschung. Wissenschaftler*innen fehlt zum einen der Zugang zu Laboren, aber vor allem fehlen spontane Begegnungen mit anderen Menschen und deren Ideen, aus welchen auf überraschende Weise neue Erkenntnisse entstehen. Das komplexe Innovationssystem Hochschule kann nicht einfach auf digitale Formate reduziert werden.

Dennoch bleibt die Zukunft hybrid, denn nicht nur in der Arbeitswelt wollen nur wenige komplett zurück zur Präsenz. Die Frage was nach der Krise bleiben wird, wirkt im Hinblick auf einen ungewissen Herbst vielleicht etwas voreilig, aber genau jetzt ist der Moment, die Weichen zu stellen, um eine kreative, verantwortungsvolle, und nachhaltige digitale Innovationskultur an deutschen Hochschulen zu etablieren.