Dr. Malte Persike
Wissenschaftlicher Leiter des Centers für Lehr- und Lernservices (CLS) der RWTH Aachen University
Rückkehr aus den digitalen Semestern – Chancen, Herausforderungen und Nebenwirkungen
Die digitalen Semester haben das Lehren, Lernen und Prüfen an deutschen Hochschulen in rasanter Geschwindigkeit transformiert. Die Nutzung innovativer Lehr-Lernformate zur digitalen Kommunikation, Interaktion und Kollaboration ist um Größenordnungen angestiegen. Ein vergleichbarer Trend findet sich auch für den Einsatz elektronischer Prüfungen. Während bis vor wenigen Monaten Konzepte wie Online-Fernprüfungen oder nicht-überwachte Take-Home-Exams eher belächelt worden sind, sind sie heute allgegenwärtige Optionen geworden.
Alleine an der RWTH ist die Anzahl digitaler Prüfungen von etwa 30.000 im Wintersemester 2019/20 auf etwa eine Viertelmillion im vergangenen Semester gewachsen. Viele Hochschulen experimentieren mit Prüfungen per Videokonferenz oder sogar Proctored Exams, um die Prüfungslast stemmen zu können. Daneben etablieren sich vermehrt auch alternative Prüfungsformen wie Portfolios, Projektarbeiten oder Serious Games. Diese Digitalisierungsleistung der Hochschulen während der vergangenen Monate ist mehr als bemerkenswert. Gleichzeitig muss das rasante Wachstum digitalen Lehrens, Lernens und Prüfens vor allem als Resultat des Emergency Remote Teaching während der Pandemie verstanden werden. Wie gut die so entstandene neue Normalität funktioniert, ist dabei noch weitgehend unklar.
Belastbare Evidenz darüber, welche Effekte die Digitalisierung im Zeitraffer auf die Hochschulbildung hat, wird erst allmählich verfügbar. Dies stellt die Hochschulen bei der Rückkehr in das hybride oder präsenzgebundene Lehren und Prüfen vor erhebliche Herausforderungen. Welche Lösungen aus den digitalen Semestern haben sich bewährt und sollen verstetigt werden, welche verursachen mehr Kosten als Nutzen? Hochschulen und ihre Lehrenden sind gefordert, Antworten auf diese Fragen zu formulieren, um die Qualität der digitalen Hochschulbildung in Zukunft zu sichern und weiter auszubauen.
Die empirische Forschung kann erste Hinweise liefern, denn viele der während der digitalen Semester prominent gewordenen digitalen Lehr-Lernformate waren bereits vorher intensiv beforscht. Die Ergebnisse legen nahe, dass digitale Lehr-Lernmethoden nur unter bestimmten Bedingungen in der Lage sind, das studentische Engagement zu erhöhen, Anwesenheitszahlen zu steigern, kontinuierliche Aufmerksamkeit zu sichern, messbar höhere Lernleistung zu generieren und die Selbstwirksamkeitserwartung der Studierenden zu verbessern. Hochschulen können hier unter anderem das Potential von Learning Analytics nutzen, um diese Bedingungen qualitativ hochwertigen Lehrens, Lernens und Prüfens besser zu verstehen. Entsprechend braucht es das konzertierte Handeln aller Akteure, um die digitalen Formate der Hochschulbildung wirksam zu konsolidieren, gezielt zu evaluieren und zielgruppengerecht weiterzuentwickeln.