„Wir wollen mit REVIERa viel mehr als nur technische Innovationsimpulse formulieren!“

 

Interview mit dem interdisziplinären Kernteam der Transformationsplattform REVIERa

Sie sind das interdisziplinäre Kernteam der Transformationsplatform REVIERa, mit der die RWTH Aachen den Strukturwandel im Rheinischen Revier begleitet: Professorin Agnes Förster, Inhaberin des Lehrstuhls für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der Fakultät für Architektur, Professor Stefan Böschen, Inhaber des Lehrstuhls für Technik und Gesellschaft an der Philosophischen Fakultät, und Professor Peter Letmathe, Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften.

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Der Strukturwandel im Rheinischen Revier, eines der ganz großen Themen unserer Zeit, das viele Fragen aufwirft. Warum ist es für eine führende Technische Hochschule wie die RWTH wichtig, diese großen Fragen vor der eigenen Haustür proaktiv mitzugestalten?

Team REVIERa: Dafür gibt es eine Fülle von wichtigen Gründen. Um nur zwei zu nennen: Denken Sie zum einen daran, dass die Rolle von Technik sich verändert. Es geht nicht mehr allein darum, gute technische Lösungen zu entwickeln, das wird vorausgesetzt. Sondern mehr noch, diese Lösungen müssen eine soziale und kulturelle Passfähigkeit aufweisen. Zum anderen zeigt sich immer mehr, dass Universitäten Plattformen des Gesprächs, des Austauschs der Debatte sind, um sichtbar zu machen, welche Zukunftsvorstellungen artikuliert werden und welche Kriterien zur Bewertung wichtig sind.

Es gab schon frühzeitig von außen Anfragen an die RWTH, sich wissenschaftlich am Diskurs zu beteiligen, mögliche langfristige Perspektiven aufzuzeigen und praktikable Lösungswege vorzuschlagen, sich einzubringen.

Team REVIERa: Es gab diese Anfragen, aber viel wichtiger war, dass es in der RWTH selbst schon früh solche Ideen gab und das in einer erstaunlichen Bandbreite an Perspektiven, die uns selbst überrascht hat.

Wann hat die RWTH beschlossen, dass sie den Strukturwandel im Rheinischen Revier mit einer eigenen Transformationsplattform begleiten will und wie diese gestaltet sein müsste?

Team REVIERa: Der Impuls zum Aufsetzen einer solchen Plattform kam schon sehr früh, denn das Rektorat wie aber auch eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen haben erkannt, dass es gerade in diesem Prozess nicht allein darum gehen kann, technische Innovationsimpulse zu formulieren. Vielmehr wurde es als entscheidend gesehen, Transformation als gemeinsames Projekt zu begreifen, in dem die verschiedenen Akteurinnen und Akteure möglichst auf Augenhöhe miteinander Perspektiven des Wandels entwickeln und an deren Umsetzung dann gemeinsam arbeiten.

REVIERa hat am 10. Februar 2020 bei einem Auftaktworkshop den Dialog mit zahlreichen Akteurinnen und Akteuren des Rheinischen Reviers eröffnet. Dazu eingeladen hatten Sie unter anderem Akteurinnen und Akteure aus der Politik, Verwaltung, Wirtschaft sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Zivilgesellschaft.
Da werden eine Menge Erwartungen, aber auch Unsicherheiten im Raum gewesen sein?

Team REVIERa: In der Tat waren da eine Menge Erwartungen – aber auch zu Recht! Denn Hochschulen werden in solchen Prozessen vielfach als ein Ort der Allparteilichkeit begriffen. Ein Ort, an dem die verschiedenen Perspektiven artikuliert, ernst genommen und dann aber auch reflektiert werden können. Die Idee der Universität basiert auf einem rationalen Diskurs. Und das war für viele attraktiv. So wurden auch Wünsche an uns herangetragen, zu der Plattform zu werden, welche die Klärung von Zukunftsentwürfen ermöglicht. Das kann eine Universität freilich nur begrenzt leisten, aber es zeigt den wichtigen Bedarf an ernsthaftem Austausch.

REVIERa verfolgt das Ziel, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu stärken. Auf der einen Seite findet ein interdisziplinärer Austausch zwischen Forscherinnen und Forschern der RWTH statt und auf der anderen Seite arbeiten Sie eng mit den Akteurinnen und Akteuren aus dem Rheinischen Revier zusammen. Sie setzen dabei auf einen dialogoffenen Prozess. Welche Erfahrungen haben Sie damit bislang gemacht?

Team REVIERa: Äußerst positive. Es ist ein Prozess voller produktiver Überraschungen. Für uns zeigt sich darin, wie wichtig die verschiedenen Gruppen das Thema der Transformation nehmen, als wie herausfordernd solche Prozesse wahrgenommen werden und dass sich solche Prozesse der Transformation schließlich durch die Verbindung von Einmaligkeit und Größe auszeichnen. Die große Verantwortung steht für alle greifbar im Raum.

Das Rheinische Revier kann die erste klimaneutrale Region Europas werden. Die RWTH sieht ihre Verantwortung in der Mitentwicklung von Transformationsangeboten und der Erarbeitung langfristiger Perspektiven zur Unterstützung des Strukturwandels. Mit REVIERa haben Sie zunächst Transformationsaufgaben identifiziert.

Team REVIERa: Unsere Rolle ist zu moderieren. Deshalb haben wir im Dialog Transformationsaufgaben identifiziert, welche als relevant anzusehen sind. Aber viel wichtiger als die Identifikation von solchen Aufgaben war die Einsicht, dass Transformation nur gelingen kann, wenn das Anpacken der Transformationsaufgaben in einer synchronisierten Form geschieht. Nichts ist problematischer als ein ungeordnetes Nebeneinander von vielen Standpunkten, was in der Konsequenz dann zu einem Flickenteppich führt.

Welche Transformationsangebote haben Sie bislang mitentwickelt?

Team REVIERa: Von besonderer Bedeutung sehen wir den Transformationskompass an. Denn hier werden wichtige Orientierungsmarken der Transformation benannt. Jedoch, mit einem wichtigen Unterschied zum nautischen Kompass, wird hier nicht Nord vorgegeben, sondern der Transformationskompass nennt nur Zielkategorien, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Denn dieser kann nur durch einen sozialen Prozess bestimmt werden.

Bis dato sind 74 Projekte, Impulse und Ideen zur Gestaltung des Strukturwandels im Rheinischen Revier zusammengekommen, an denen unterschiedliche Fakultäten, Forschungsinstitute und Einrichtungen beteiligt sind. Könnten Sie bitte die Inhalte/Themenfelder umreißen?

Team REVIERa: Die 74 Projekte decken eine große Bandbreite der Forschung der RWTH Aachen ab. Viele sind interdisziplinär angelegt und der Erfolg wird letztlich auch durch die Kooperation verschiedener Forschungsinstitute gesichert. Insgesamt werden dadurch gleich sieben sogenannte Kerninnovationsbereiche abgedeckt. Dabei handelt es sich um Themen aus den Bereichen Mobilität, Gesundheit, Produktion, Stoffe und Kreisläufe, produktive Landschaft, Energie sowie Künstliche Intelligenz und Information. Wir betrachten aber auch das Zusammenwirken der Vorhaben, um so zum Gelingen des Strukturwandels beizutragen.

Der Strukturwandel bringt viele Chancen für einen erfolgreichen Neuanfang mit sich.

Team REVIERa: Strukturwandel ist ein sehr dynamischer und risikoreicher Prozess. Zugleich, in der Tat, sollte man von den Chancen sprechen. Um es vielleicht auf einen Punkt zu bringen. Es geht um die Chance, ein anderes Innovationsmodell zu entwickeln, nämlich eines, in dem die wechselseitige Abhängigkeit und Bedingtheit von sozialer und technischer Entwicklung nicht als unversöhnbarer Gegensatz, sondern als Gelegenheit für das Entfalten eines ganz neuen Innovationsmodells jenseits von Silicon Valley-Fantasien ergriffen wird.