Interview mit Professorin Verena Nitsch

 

Professorin Verena Nitsch ist seit Juni 2018 Universitätsprofessorin für das Fach Arbeitswissenschaft der Fakultät für Maschinenwesen. Sie ist zugleich Direktorin des Instituts für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen University. In ihrer Forschung widmet sie sich unter anderem der menschzentrierten Auslegung von Mensch-Maschine Schnittstellen und der Untersuchung von Auswirkungen neuer Technologien auf Beschäftigte und Arbeitsprozesse.

Professorin Nitsch, vor Corona kannten viele Menschen – auch hier an der Hochschule – Homeoffice nur vom Hörensagen. Werden diese Leute Menschen auch nach der Pandemie weiter von zuhause arbeiten können?

Nitsch: Es würden sicherlich viele Gründe dafürsprechen. Mit der Arbeit im Homeoffice entfallen Reisewege, die Beschäftigte Zeit kosten und Stress verursachen. Studien zeigen außerdem, dass Beschäftigte im Homeoffice produktiver arbeiten und auch die Arbeitszufriedenheit steigt. Aber wenn man nicht auf eine menschengerechte Arbeitsgestaltung achtet, kann sich die Homeoffice-Arbeit auch nachteilig auf Beschäftigte auswirken. So mangelt es zum Beispiel vielen Beschäftigten an der notwendigen Ausstattung, aber auch den Kenntnissen, um den Arbeitsplatz im Homeoffice ergonomisch verträglich einzurichten und damit gesundheitlichen Schäden vorzubeugen. Auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann mit der Homeoffice-Arbeit nur erzielt werden, wenn den Beschäftigten gleichzeitig eine große Flexibilität in der Wahl von Arbeitszeit und Arbeitsort zugestanden wird. Das erfordert natürlich von Führungskräften ein gewisses Vertrauen, aber auch eine größere Flexibilität in den Unternehmensprozessen. Beides hat die Pandemie gewissermaßen erzwungen, aber viele Unternehmen – und sicherlich auch viele Hochschulen – nehmen diese Entwicklungen durchaus positiv wahr. Meine Hoffnung ist daher, dass Beschäftigte zukünftig bei der Wahl von Arbeitszeit und -ort mehr Entscheidungsspielraum haben werden als dies noch vor der Pandemie der Fall war.

Gibt es neben Homeoffice andere Entwicklungen, die Corona verursacht hat?

Nitsch: Offensichtlich ist die Arbeitssicherheit am Arbeitsplatz mit der Pandemie wesentlich stärker in den Fokus gerückt. Das betrifft jedoch nicht nur Hygieneschutzmaßnahmen, sondern auch psychische Gefährdungen, die etwa durch soziale Isolation oder die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben entstehen. Außerdem sehen viele Unternehmen die Möglichkeit, auch nach der Pandemie Kosten für Dienstreisen und den damit verbunden ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. In der bereits angeschlagenen Reisebranche beobachtet man diese Entwicklung sicherlich mit Sorge –und auch der wissenschaftliche Austausch könnte darunter leiden, wenn Konferenzen zukünftig hauptsächlich digital stattfänden. Ebenso kritisch zu sehen sind sicherlich die Auswirkungen, die die Pandemie und insbesondere die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen auf die Karrieren und die Belastung von Frauen haben. Die Nachwirkungen dieser Entwicklungen werden wir sicherlich erst in ein paar Jahren richtig einschätzen können.

Wie bewerten Sie den durch die Digitalisierung angestoßenen Wandel in den Hochschulen? Und was heißt dies für den Personalbereich, etwa im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Nitsch: Die Pandemie hat die Digitalisierung der Lehre und der Verwaltungsprozesse an vielen Hochschulen stark beschleunigt. Viele Beschäftigte haben nun – wenn auch gezwungenermaßen- einige Vorteile der Digitalisierung erlebt, zum Beispiel die Beschleunigung von digitalen Prozessen, die vorher den Postweg erforderten, oder die flexiblere Gestaltung von Arbeitsort und -zeit. Doch wird die Digitalisierung in vielen Bereichen immer noch als „technisches“ Problem verstanden, für das man nur die richtige Software finden muss. Um eine nachhaltige und vor allem menschengerechte digitale Wende an den Hochschulen zu vollziehen, sind jedoch auch passende Weiterbildungsangebote zu entwickeln (Führen von virtuellen Teams und virtuellen Meetings, virtuelles Onboarding neuer Mitarbeitender, virtuelle Mitarbeiter- und Konfliktgespräche führen u.v.m.). Mit dem größeren Gestaltungsfreiraum, der mit einer Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort einhergeht, wird es auch zunehmend wichtig, Beschäftigte gegenüber physischen und psychischen Gefährdungen zu sensibilisieren, die mit einer ergonomisch schlecht verträglichen Gestaltung der Arbeit einhergehen.