Optimierung der Wirksamkeit
Von chemischen Treffern zur Anwendung in der Therapie von Leukämien
Deutschland ist ein „Global Player“, wenn es um die Forschung und Entwicklung großer Pharmaunternehmen geht. Sie investieren jährlich über sechs Milliarden Euro und in ihrer Pipeline befinden sich rekombinante (mit Hilfe gentechnologischer Methoden entwickelte) Antikörper, aber auch niedermolekulare Hemmstoffe für die Behandlung von Tumorerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen (wie zum Beispiel Diabetes) sowie kardiovaskulären und entzündlichen Erkrankungen.
Gewöhnlich werden Hochdurchsatz-Screenings angewendet um wirksame chemische Verbindungen zu finden, die als Treffer oder sogenannte „Hits“ bezeichnet werden. Es folgen zunächst eine Vielzahl präklinischer Untersuchungen, bevor neue Substanzen in klinischen Studien geprüft werden können. Die pharmazeutische Industrie sucht mit enormem Durchsatz nach chemischen Verbindungen, die als Medikamente in diversen Krankheitsentitäten nutzbar sein könnten. Trotzdem sind systematische Modifikationen, die an universitären Einrichtungen durchgeführt werden, von großem wissenschaftlichem und öffentlichem Interesse.
Die Arbeitsgruppe um Professor Carsten Bolm am Institut für Organische Chemie der RWTH Aachen forscht schon seit vielen Jahren an solchen Fragestellungen, wobei in den meisten Fällen Methodenentwicklungen zur gezielten Herstellung von potenziell bioaktiven Wirkstoffen im Mittelpunkt stehen. In vielen dieser Arbeiten steht das Element Schwefel im Zentrum der Entwicklung. Sein molekulares Umfeld gerichtet zu verändern gehört zur Expertise der international hoch angesehenen Gruppe von Molekülchemikern.
Professor Steffen Koschmieder, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Translationale Hämatologie und Onkologie der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Aachen, und Dr. Nicolas Chatain forschen bereits seit längerem an chronischen und akuten Leukämien, sowohl in der Grundlagen- als auch translationalen Forschung, die versucht erarbeitetes Wissen in die Klinik zu transferieren.
Das gemeinsame ERS-geförderte Projekt der drei Wissenschaftler zielte auf die Herstellung neuartiger chemischer Wirkstoffe und ihre Anwendung in der Therapie von myeloischen und lymphatischen Leukämien ab. Dabei wurden Moleküle mit noch nie dagewesenen Gerüststrukturen hergestellt und ihre Wirksamkeit und Toxizität funktionell getestet um die Eigenschaften bekannter bioaktiver Verbindungen zu verbessern. Mit Hilfe von computerbasierten Methoden sollten ADMET-bezogene Eigenschaften (Absorption, Verteilung, Metabolismus, Ausscheidung und Toxizität) der neuen Verbindungen und die damit verbundenen schädlichen Wirkungen vorhergesagt werden.
Die Mitarbeiter von Carsten Bolm, Marcus Frings und Jan-Hendrik Schöbel, stellten durch gezielte Synthese unterschiedliche chemische Verbindungen her, die zum Teil aufwendig chromatographisch gereinigt werden mussten um stereochemisch einheitliche Inhibitoren (Enantiomere) zu erhalten. Sobald neue Substanzen hergestellt waren, kam die präklinische und klinische Expertise um Steffen Koschmieder und Nicolas Chatain ins Spiel. Es wurden Untersuchungen an humanen Leukämie-Zelllinien durchgeführt, die einen Einfluss der Chiralität der BET-Inhibitoren auf die Effektivität, die Tumorzelllinien abzutöten, bestätigten. Im nächsten Schritt wurde primäres Zellmaterial aus dem Blut von erkrankten Patienten gewonnen, und die erfolgsversprechenden Ergebnisse konnten bestätigt werden.
Zudem gaben die von Juniorprofessorin Giulia Rossetti und ihrem Team aus dem Forschungszentrum Jülich durchgeführten in silico docking Analysen und Molekulardynamik-Simulationen auf Basis der Röntgenkristallstruktur wichtige Hinweise zum Mechanismus der hemmenden Wirkung.
Durch die enge Kooperation von Forschern verschiedener RWTH-Institute bzw. -Kliniken sowie dem Forschungszentrum Jülich wurde so insgesamt eine verbesserte Bioaktivität eines innovativen Moleküls im Vergleich zur Ursprungsverbindung erreicht, was in einem Patentantrag und einer wissenschaftlichen Publikation mündete. Da bislang nur ein Teil der synthetisierten Verbindungen untersucht wurde, sind Folgeprojekte bereits angelaufen. Sollte in Zukunft die Bioaktivität weiter gesteigert werden können, würden sich tiefgehende präklinische Studien anschließen. Der Weg zu einer Anwendung in der Klinik ist zwar lang, steht aber immer im finalen Fokus der Forschungsgruppen.