Das menschliche Gehirn als Inspiration

01.09.2023

Mit neuromorphen Chips auf dem Weg zur nachhaltigen KI der Zukunft

  Jülich-Aachen Neuromorphic Computing Day Urheberrecht: © Forschungszentrum Jülich / Kurt Steinhausen V.l.n.r.: Prof. Rainer Waser, FZJ-Vorstandsvorsitzende Prof. Astrid Lambrecht, RWTH-Rektor Prof. Ulrich Rüdiger, BMBF-Staatssekretärin Prof. Sabine Döring, MKW-NRW-Landesministerialrat Thorsten Menne, Prof. Max Lemme

Sie könnten der Schlüssel sein, um dem Energiehunger Künstlicher Intelligenz (KI) zu begegnen: neuroinspirierte Computerchips, die dem Vorbild des menschlichen Gehirns nachempfunden sind. An der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich treiben Forschende die Technologie im Projekt NEUROTEC und dem Zukunftscluster NeuroSys maßgeblich voran. Beim Jülich-Aachen Neuromorphic Computing Day gaben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Partnern von Hightech-Unternehmen und Start-ups den rund 200 Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik im Beisein von BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring einen Einblick in den aktuellen Stand der Entwicklungen.

„Wir wollen den Strukturwandel im Rheinischen Revier durch Forschung und Innovation vorantreiben. So sorgen wir auch dafür, dass Wertschöpfung und Beschäftigung in den Regionen gehalten und gestärkt werden. Das Projekt NEUROTEC zeigt, wie dies gelingen kann: Durch den Aufbau eines starken Netzwerks aus Wissenschaft und Wirtschaft wird die Mikroelektronik der Zukunft vorangetrieben und der Transfer in die Unternehmen beschleunigt. Durch NEUROTEC und das Zukunftscluster NeuroSys soll der Großraum Aachen zu einem der führenden Standorte für europäische KI-Hardware werden. Denn neuromorphe Chips, wie sie in NEUROTEC und NeuroSys entwickelt werden, können in Zukunft den Ressourcenaufwand für KI erheblich reduzieren. Ein erfolgreicher Strukturwandel kann allerdings nur gelingen, wenn wir auch den Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis schaffen. NEUROTEC und NeuroSys bieten hierfür optimale Bedingungen und somit für einen neuen, innovativen KI-Hub im Rheinischen Revier“, sagte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Prof. Sabine Döring, zum Auftakt der Netzwerkveranstaltung.

Rechenzentren benötigen seit Jahren immer mehr Strom. Der Einsatz von KI gilt als einer der Treiber dieser Entwicklung. ChatGPT und Co weisen zunehmend menschenähnliche Fähigkeiten auf. Doch die Rechner, auf denen die Anwendungen laufen, funktionieren ganz anders als ein biologisches Gehirn. Der Unterschied zeigt sich auch im Energieverbrauch: Superrechner benötigen für das Training künstlicher neuronaler Netze ähnlich viel Strom wie eine kleinere Stadt. Das menschliche Gehirn benötigt dagegen nicht mehr Energie als eine Glühbirne mit 25 Watt.

„Neuromorphe Systeme, die der Funktionsweise des Gehirns nachempfunden sind, versprechen, solche KI-Prozesse deutlich – um mehrere Größenordnungen – effizienter zu trainieren und zu betreiben, als es mit herkömmlichen Digitalrechnern möglich ist“, erklärte Prof. Astrid Lambrecht, Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich. „Bei dieser Technologie handelt es sich um eine echte Schlüsselinnovation.“

„Neuromorphic Computing wird zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für energieeffiziente KI-Anwendungen in der Sprach-, Bild- und Videoverarbeitung oder der Medizin eröffnen. Die RWTH denkt auch hier groß und bietet ihre geballte Erfahrung in der Translation von Forschungsergebnissen. Gemeinsam mit Verbänden wie der IHK Aachen oder der Zukunftsagentur Rheinisches Revier werden verschiedene Szenarien zur weiteren Entwicklung unseres Innovationsökosystems gedacht, bis hin zur Ansiedelung einer Fabrik für Computer-Chips ‚made in NRW‘“, ergänzte RWTH-Rektor Prof. Ulrich Rüdiger.

Memristive Bauelemente als künstliche Synapsen

Zentrales Element für den Bau eines neuromorphen Computers sind memristive Materialien und Bauteile, in deren Erforschung die RWTH und das Forschungszentrum Jülich weltweit führend sind. Memristive Bauelemente können als künstliche Synapsen in neuronalen Netzwerken Informationen parallel speichern und verarbeiten.
Im Projekt NEUROTEC entsteht im Zusammenspiel mit Hightech-Unternehmen in der Region wie dem Anlagenbauer AIXTRON, dem Messtechnik-Spezialisten aixACCT Systems GmbH sowie den Nanotechnologie-Unternehmen AMO GmbH und SURFACE systems+technology GmbH & Co. KG eine neuartige, umfassende Basistechnologie für neuromorphe KI. Das Verbundprojekt ging 2021 in die zweite Phase und wird vom BMBF für fünf Jahre mit 36 Millionen Euro aus Mitteln für den Strukturwandel gefördert.

„Erste Ergebnisse kommen bereits in der nächsten Generation von Automobilelektronik auf den Markt. Dabei geht es um energiesparsame und schnelle ReRAM-Speicher von Infineon und TSMC, die Informationen permanent ohne kontinuierliche Stromversorgung speichern können. Diese wurden mithilfe von Test- und Programmierverfahren aus NEUROTEC optimiert“, erklärte NEUROTEC-Koordinator Prof. Rainer Waser, Leiter des Lehrstuhls für Werkstoffe der Elektrotechnik II der RWTH und JARA-Institut Green IT und Direktor des Peter Grünberg Instituts Elektronische Materialien (PGI-7) am Forschungszentrum Jülich. Auch das eigentliche Ziel des Projekts, die Realisierung erster neuromorpher Demo-Chips für den praktischen Einsatz, kommt zusehends in Reichweite. „Mit Chips auf Basis der 180-nm-Halbleitertechnologie haben wir bereits umfangreich experimentiert und viele kleinere, wichtige Fortschritte gemacht. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie verlässlich diese neuartigen Bauteile mittels CMOS-Technologie hergestellt werden können, oder ob sie auch nach vielen Schaltzyklen noch fehlerlos funktionieren“, so Waser weiter.

Erste Entwürfe auf Basis der moderneren 28-nm-Technologie gingen Ende Mai in Taiwan in Produktion. Nach der Weiterverarbeitung und Bestückung mit memristiven Elementen aus der Jülich-Aachener Forschung sollen diese dann demnächst mit ersten realen Anwendungen getestet werden.

Weltweit führender Standort

Im Zukunftscluster NeuroSys arbeiten Forschende der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülichs gemeinsam mit regionalen Unternehmen an der Erschließung weiterer Markt- und Anwendungspotenziale. Der NeuroSys Zukunftscluster ist Teil der Initiative Clusters4Future, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel ist es, neuartige Hardware für KI-Anwendungen zu entwickeln und die Region als einen weltweit führenden Standort in diesem Feld zu etablieren.

„Mit unserer Forschung spannen wir die gesamte Wertschöpfungskette auf, einschließlich soziologischer und ethischer Fragestellungen, die disruptive Technologien immer aufwerfen. Dadurch bieten sich auf vielen technologischen Ebenen Chancen für regionale Unternehmen und Startups, den Strukturwandel zu beschleunigen. Wir sehen bereits heute erste Effekte auf den Arbeitsmarkt und Unternehmensinvestitionen. Langfristig würde eine Halbleiter-Fertigung in der Region die vorhandene, umfassende und international anerkannte Expertise und Infrastruktur ideal ergänzen und die Attraktivität der Region für die hervorragend ausgebildeten Köpfe aus dem Forschungszentrum und der RWTH noch einmal deutlich erhöhen“, sagte NeuroSys-Koordinator Prof. Max Lemme, Inhaber des Lehrstuhls für Elektronische Bauelemente der RWTH und Geschäftsführer der AMO GmbH.

Weitere Informationen sowie eine längere Fassung der Meldung finden Sie auf der Webseite des Forschungszentrums Jülich.