„Fantastisches Experiment zur Erkundung des Weltraums“
Astronauten übten an der RWTH den Einbau des neuen Kühlsystems.
Wie ist das Universum entstanden? Dies gilt als eine der fundamentalsten Fragen der Physik, die mit Hilfe des Alpha-Magnet-Spektrometers, AMS-02, geklärt werden soll. An der Entwicklung des 1,5 Milliarden Dollar teuren Experimentes haben mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 Ländern über 15 Jahre lang gearbeitet. Der Teilchendetektor AMS-02 wurde im Mai 2011 mit dem letzten Flug des Space Shuttles Endeavour zur Internationalen Raumstation ISS gebracht. Seither misst das sieben Tonnen schwere Spektrometer mit bis dato nicht erreichter Präzision die Teilchen der kosmischen Strahlung und hat bereits 130 Milliarden davon aufgezeichnet. Es ist das größte Instrument zur Grundlagenforschung auf der Raumstation und soll noch weitere zehn Jahre Einblicke in die Entstehung des Universums und in Prozesse in der Umgebung von Schwarzen Löchern und Neutronensternen geben. Das AMS-02-Projekt auf der ISS wird von Nobelpreisträger und RWTH-Ehrendoktor Professor Samuel C. C. Ting vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) geleitet. Ting erhielt 1976 den Physiknobelpreis und wurde 2004 Ehrendoktor der RWTH. Die Hochschule ist an dem Projekt von Beginn an beteiligt und arbeitet gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich und den Universitäten Kiel und Karlsruhe am Erfolg des Projektes. Seit 2000 koordiniert RWTH-Professor Stefan Schael die deutschen Forschungsbeiträge. Unterstützt werden die Forscherinnen und Forscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Neues Kühlsystem benötigt
Zentrales Element von AMS-02 ist ein rund sechs Quadratmeter großer Silizium-Spurendetektor, der durch einen geschlossenen Kühlkreislauf bei konstanten null Grad Celsius betrieben wird. Bei dem ursprünglich auf drei Jahre Betrieb ausgelegten Kühlsystem sind mittlerweile drei der vier redundanten Pumpen ausgefallen. Deshalb benötigt das Spektrometer dringend ein neues Kühlsystem. Dieses wurde in den letzten drei Jahren von einem 70-köpfigen Team an der RWTH Aachen in enger Zusammenarbeit mit dem MIT, der NASA und anderen internationalen Forschungseinrichtungen entwickelt und gebaut. In einigen Monaten wird das 200 Kilogramm schwere, kühlschrankgroße Kühlsystem von den Astronauten Luca Parmitano (Italien), Andrew R. Morgan (USA), Christopher J. Cassidy (USA) und Jeremy R. Hansen (Kanada) in fünf aufwendigen Außeneinsätzen installiert. „Es ist eine sehr schwere Mission für die Astronauten, weshalb das Vorhaben im Vorfeld gründlich vorbereitet werden muss“, sagt Professor Stefan Schael. „Stellen sie sich den kältesten Tag zum Skifahren vor, sie haben eine dicke Mütze an, einen Helm, eine Brille, dicke Handschuhe und eine Winterjacke. Und dann müssen sie mit diesem Outfit die Motorhaube ihres Autos öffnen, um darin etwas zu reparieren – mitten in der Nacht“, ergänzt Christopher J. Cassidy und verdeutlicht damit die Schwierigkeit dieser Mission.
Vorbereitung in virtueller Realität
Um das defekte Kühlsystem zu reparieren, müssen die Astronauten mehrere vier Millimeter dicke Schläuche finden, durchtrennen und mit dem in Aachen gebauten System verbinden. „Das ist äußerste Präzisionsarbeit, die keinen Fehler erlaubt. Ein falscher Handgriff oder ein fehlendes Werkzeug würde das gesamte Vorhaben gefährden“, so Schael. Um diese Arbeiten in der Schwerelosigkeit motorisch eingeschränkt durchführen zu können, hat die NASA rund 30 neue Werkzeuge entwickelt. „Das zeigt, dass dieses Projekt nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ingenieurtechnisch und organisatorisch eine große Herausforderung und sehr aufwendig ist“, betont Kirk A. Shireman, ISS-Programm-Manager. Die neue Kühlung sei deshalb so wichtig, weil das AMS-02 viel Wärme produziere und diese im Vakuum des Weltraums trotz der dort herrschenden Kälte nicht einfach abgegeben werden könne, erklärt Schael. Daher werde flüssiges CO2 durch den Detektor gepumpt, was für die entsprechende Temperatursenkung sorge.
Damit letztlich auch jeder Handgriff sitzt, bereiten sich die Astronauten seit Jahren auf ihre Mission vor. Neben Übungen an Modellen in Houston sowie einem eins-zu-eins-Modell unter Wasser, um Bedingungen der Schwerelosigkeit zu simulieren, machten sich die Astronauten während ihres Aufenthaltes in Aachen mit der Technik des Kühlsystems am I. Physikalischen Institut der RWTH vertraut. Die Arbeitsgruppe von Professor Jürgen Roßmann, Institut für Mensch-Maschine-Interaktion der RWTH, gestaltete dazu unter Leitung von Dr. Michael Schluse in der AixCAVE eine realistische Simulation der ISS. Die AixCAVE des IT Centers der Hochschule, eine der weltweit größten fünfseitigen Virtual-Reality-Installationen, ermöglichte den Astronauten einen realitätsnahen, virtuellen Besuch von AMS-02 im Originalmaßstab. Im Oktober wird das Kühlsystem zur ISS gebracht, damit ab November der Einbau beginnen kann.
Paradebeispiel internationaler Zusammenarbeit
„AMS-02 ist ein fantastisches Experiment zur Erkundung des Weltraums. Und das Team, das am AMS-Projekt mitarbeitet, ist ein tolles Beispiel dafür, was die ISS ist, nämlich eine internationale Kollaboration“, so Dr. William Gerstenmaier, NASA Associate Administrator. Auch Astronaut Jeremy R. Hansen aus Kanada ist stolz auf diese einzigartige Kooperation zwischen so vielen Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt. „Wir sind zwar der sichtbare Teil dieses Experimentes, aber es ist wichtig, die vielen Menschen zu sehen, die all das ermöglichen und sich für den Erfolg des Projektes einsetzen. Es ist großartig und wir sind stolz, ein Teil davon zu sein. Das Experiment ist von so großer Wichtigkeit für die Menschheit und wir wollen dafür sorgen, dass es fortgeführt werden kann“, so der Kanadier.
AMS-02 hat eine geplante Lebensdauer bis 2028. Unter Leitung von Professor Schael wird heute schon mit anderen nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen am Nachfolgeprojekt AMS-100 gearbeitet. Dieses Instrument soll ab 2030 mit 1000-mal höherer Sensitivität neue Einblicke in das Universum ermöglichen.
Dass dieses Thema die Menschen fasziniert, zeigte sich auch am voll besetzten Hörsaal der RWTH. Unter dem Titel „The ISS – A Global Science Platform in Space“ erläuterten Projektverantwortliche und Astronauten die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse von AMS-02. Die Zukunft der bemannten Raumfahrt stellten NASA Associate Administrator Gerstenmaier und ISS-Programm-Manager Shireman vor. Im Anschluss berichteten die Astronauten Cassidy und Hansen von ihren Außeneinsätzen auf der ISS und dem Austausch des Kühlsystems im kommenden November.
Bildunterschrift
Die Astronauten Jeremy R. Hansen (links) und Christopher J. Cassidy besuchten gemeinsam mit Nobelpreisträger Professor Samuel C. C. Ting, Kay Bailey Hutchison, US-Botschafterin bei der NATO, und Professor Stefan Schael, AMS-Projektverantwortlicher an der RWTH Aachen, die ISS in der AixCAVE im IT Center.
Redaktion: Presse und Kommunikation