Feldforschung am Mount Everest
Rund 400.000 Touristen aus Mitteleuropa nehmen jährlich an einer Trekkingreise in Europa, Südamerika, Nordafrika oder Asien teil. Damit gehört Trekking zu einer der beliebtesten Freizeitsportarten. Viele der Abenteurer sind aber oftmals nicht ausreichend auf eine Unternehmung in mehreren tausend Meter Höhe vorbereitet. Das betrifft vor allem das Sicherheitsmanagement, die Erste-Hilfe-Kenntnisse, aber auch die zahnmedizinische Vorsorge. Aus diesem Grund hat Professor Dr. med. Thomas Küpper vom RWTH-Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin ein Projekt ins Leben gerufen: In der „Aachen Dental and Medical Expedition“ (ADEMED) lernen Promotionsstudierende, wie Feldforschung in abgelegenen Gebieten organisiert wird. „Daten müssen dort gesammelt werden, wo sie entstehen. Dazu gehört auch der Umgang mit örtlichen Behörden und Trägern, die Budgetierung und Öffentlichkeitsarbeit“, berichtet Küpper. Im Himalaya-Gebiet wird auf 5.550 Meter Höhe geforscht. Die Studierenden untersuchen zum Beispiel die Trinkwasserhygiene der Reisenden, ihre Vorerkrankungen, die Reiseapotheke und den Konsum leistungssteigernder Mittel. Die deutsch-nepalesische Zusammenarbeit mit Ärzten und Studierenden vor Ort funktioniert gut.
Spezielles Erste-Hilfe-System für Alpinsport
Eines der größten Probleme beim Trekking ist die Höhenkrankheit. Mit steigender Höhe sinkt der Sauerstoffgehalt der Luft. In 5.500 Meter Höhe ist der Sauerstoffpartialdruck 50 Prozent geringer als auf Meeresniveau. Durch den niedrigen Druck gelangt weniger Sauerstoff in das arterielle Blut – man ist schneller außer Atem, die Leistungsfähigkeit sinkt. Außerdem führt Sauerstoffmangel zu einer Mangelerscheinung im Gewebe, der so genannten Hypoxie. Das Gehirn ist am stärksten betroffen, der Wassergehalt der Hirnzellen nimmt zu, so dass diese anschwellen. Der steigende Hirndruck führt zu Störungen im Nervensystem: Symptome der leichten Form sind Kopfschmerzen, Schwindel, Atemnot oder Übelkeit. Zu den schweren und lebensbedrohlichen Folgen gehören Seh- und Bewegungsstörungen und psychisch abnormes Verhalten. Ab etwa 2.500 Metern sollte der Höhenunterschied zum nächsten Punkt der Übernachtung daher nicht mehr als 300 Meter je Tag oder aber 500 bis 600 Meter an jedem zweiten Tag betragen.
„Wir beobachten immer wieder, dass Personen zu schnell zu hoch steigen“, so Küpper. „Nur wenn man sich langsam an die Höhe gewöhnt, kann der Körper ausreichend Sauerstoff aufnehmen.“ Die langsame Höhenanpassung ist keine Garantie für ein Ausbleiben der Höhenkrankheit, aber die bisher bekannteste und wirksamste Methode zur Vorbeugung. Die Anpassungsfähigkeit der Menschen ist individuell unterschiedlich. Generell zeigte sich, dass Menschen nach symptomfreiem Aufenthalt in großer Höhe auch zukünftig wenig Beschwerden in der Höhe haben.
Treten dennoch Beeinträchtigungen auf, wissen Bergführer oft nicht, wie sie Erste Hilfe leisten können. „Die Kurse im Rahmen der Führerscheinprüfung sind nicht auf jede Situation übertragbar“, erläutert Küpper. So erarbeitet das Institut in Aachen ein modulares Erste-Hilfe-System für die Disziplinen des Alpinsports, welches zielgruppengerecht übertragen werden kann. Es wird aus einem Basismodul bestehen und einem jeweils disziplinspezifischen Aufbaumodul.
Zahnprävention ist wichtig
Bislang gibt es kaum Daten über Zahnprobleme beim Trekking und nur wenig Kenntnisse, wie diese durch Prophylaxe vermieden werden können. Deshalb untersuchten die Promovenden die Mund- und Zahnhygiene der Trekker. Sie ermittelten die Häufigkeit der auftretenden Schwierigkeiten oder Notfälle und erarbeiteten Vorschläge zur Prävention. „Bei jeder betreuten Person wurde zunächst der Zahnstatus erhoben und dabei der Papillenblutungs- und Plaque-Index bestimmt“, so Küpper.
Mit kleinen Spezialpapierstiften wurden Proben aus den Sulci, der Furche zwischen Zahn und Zahnfleisch, entnommen. Diese wurden luftgetrocknet und später im Labor der RWTH untersucht. Die Analyse fand in großer Stichprobe mit eindeutigem Ergebnis statt: Die Mundflora unterliegt während des Trekkings signifikanten Veränderungen. Es gibt „Indikator-Keime“ – mindestens ein Keim kommt vermutlich ausschließlich bei Personen vor, die bakterielle entzündliche Zahnprobleme entwickeln. „Zahnprävention ist ein wichtiger Bestandteil vor jedem Höhenausflug“, betont Küpper. Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die RWTH mit ihrem Brückenschlag zwischen Human- und Zahnmedizin in der Reisemedizin ein Alleinstellungsmerkmal einnimmt.
Präventivmedizinisch beratende Ärzte werden wichtiger in einer zunehmend mobilen, aktiven, aber auch älteren Gesellschaft, die immer häufiger zu sehr abgelegenen Zielen reist. Aus diesem Grund ist ADEMED mittlerweile ein fester Baustein in der medizinischen Lehre und Forschung der RWTH. Etwa alle drei Jahre dürfen so mehrere Promotionskandidaten einige Wochen mit auf Reise. „Sie lernen hier nicht nur, wie gute Feldforschung in Gegenden mit geringer Infrastruktur funktioniert, sie führen diese auch im Team durch. Unter den ungewohnten Bedingungen muss man sich unbedingt aufeinander verlassen können“, betont Küpper.
Celina Begolli