Bernd Hentschel im Gespräch

 

Über Bernd Hentschel

Dr. Bernd Hentschel ist stellvertretender Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets „Virtuelle Realität und Immersive Visualisierung“. Er studierte Informatik an der RWTH (Dipl.-Inform., 2003) und promovierte anschließend bei Professor Torsten W. Kuhlen (Dr. rer. nat , 2009). Seine Forschungsinteressen umfassen die Analyse fachspezifischer Merkmale in großen Simulationsdaten, parallele Visualisierungsalgorithmen und immersive Visualisierungsverfahren. Dr. Hentschel arbeitet aktiv mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher, simulationsgestützter Fachgebiete zusammen und sucht mit ihnen nach Wegen, die Vorteile VR-basierter Benutzerschnittstellen für komplexe, visuelle Datenanalyseprobleme zu erschließen.

Als Kármán Fellow arbeitete Hentschel im April 2017 an der University of Oregon in der Forschungsgruppe "Computing and Data Understanding at eXtreme Scale, CDUX" an der Visualisierung von extrem großen Datensätzen beziehungsweise Dateien. Im Interview beschreibt er die vielfältigen Erfahrungen des „ereignisreichen“ Forschungsaufenthalts in Oregon, der zu einer weiteren Zusammenarbeit mit seinem Gastgeber führte.

  Modell eines Luftwirbels © privat Stromlinien erlauben die intuitive Visualisierung von Strömungsdaten, hier einer Simulation des Hurrikans Isabel, der im September 2003 auf die Ostküste der USA traf.

Woran forschen Sie zurzeit, und in welchem Kontext ist Ihre Forschung von Bedeutung?

Ein Forschungsschwerpunkt unserer Arbeitsgruppe ist die Visualisierung großer Datenmengen, wie sie zum Beispiel im Rahmen aufwändiger Simulationsrechnungen auf Hoch- und Höchstleistungsrechnern generiert werden. Diese Rechner sind inzwischen so leistungsfähig und generieren Daten so schnell, dass deren zeitnahe Analyse zunehmend zu einem Flaschenhals für simulationsgestützte Forschung wird.Mit unserer Arbeit leisten wir einen Beitrag dazu, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen das Verständnis ihrer Daten zu erleichtern. Ich selbst arbeite derzeit vor allem auf dem Gebiet der Visualisierung von Vektorfeldern. Derartige Felder beschreiben beispielsweise die Strömung eines Kraftstoff-Luft-Gemischs in einem Verbrennungsmotor oder den Fluss von Blut durch eine künstliche Blutpumpe. Aber auch die Feldlinien eines magnetischen Feldes stellen ein Vektorfeld dar und lassen sich mit Hilfe von Partikelbahnen veranschaulichen.

 

Was hat zu Ihrem Aufenthalt an der University of Oregon in den USA geführt?

Mein Gastgeber, Hank Childs, ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Visualisierung sehr großer Datenmengen. Er ist Urheber und Architekt der Software VisIt, eines der führenden Tools auf diesem Gebiet. Wir kennen uns seit geraumer Zeit und haben uns immer wieder im Rahmen von Konferenzen über fachliche Dinge ausgetauscht. Da sich sowohl unsere Interessen als auch unsere Ansätze gut ergänzen, hatten wir seit einiger Zeit überlegt, wie wir diese Diskussionen zu einer aktiven Kooperation ausbauen könnten. Das Theodore von Kármán-Programm bot hier einen sehr willkommenen Einstieg; der Antragsprozess war unkompliziert, die Abwicklung ebenfalls. Die Rahmenbedingungen stimmten. Auf diese Weise war es leicht, den Aufenthalt zu organisieren.

Was haben Sie während des Forschungsaufenthaltes genau gemacht? Worin liegen die wichtigsten greifbaren Resultate Ihres Forschungsaufenthalts?

Die Arbeiten in Oregon waren überraschend vielfältig. Der rote Faden meines Besuchs ergab sich aus einem konkreten algorithmischen Problem in der Visualisierung: der Berechnung integraler Linien in Vektorfeldern. Diese Linien beschreiben Bahnen von Partikeln, die sich in einem Vektorfeld bewegen. Mit Hilfe dieser Bahnen lassen sich – vereinfacht gesprochen – Windkanal-Experimente virtuell nachempfinden, was den Forschenden hilft, die zu Grunde liegenden Daten zu verstehen. Aber auch weitergehende, statistische Analysen sind auf ihrer Basis möglich. Die effiziente, parallele Berechnung vieler Partikelbahnen stellt einen fundamentalen Baustein der meisten Visualisierungs­ver­fahren für Vektorfelder dar und ist daher – jenseits der rein algorithmischen Betrachtung – von besonderem praktischen Interesse. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in diverse Forschungsprojekte ein, von der Untersuchung von Verbrennungsprozessen bis hin zur Hirnforschung. Aus den Arbeiten entstand eine gemeinsame Publikation.

Während meines Aufenthalts fand außerdem ein so genannter Code Sprint des vtk-m Teams mit knapp 20 Kernentwicklerinnen und -entwicklern statt. Vtk-m ist eine Programmbibliothek, die Bausteine für parallele Visualisierungsalgorithmen bereitstellt. Sie wird gemeinsam von mehreren Teams an US-Nationallaboren bezehungsweise -Universitäten entwickelt. Das Event gab mir die Möglichkeit, in sehr kurzer Zeit die verantwortlichen Entwickler persönlich kennenzulernen und mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Außerdem erhielt ich kompakt und aus erster Hand einen Schnelleinstieg in vtk-m. Insofern war es schon für sich gesehen eine großartige Erfahrung.
Im weiteren Verlauf des Besuchs reichten wir gemeinsam mit Janine Bennett (Sandia National Lab) und Christoph Garth (TU Kaiserslautern) einen Vorschlag für ein Dagstuhl-Seminar zur Visualisierung großer Daten ein. Dem Antrag wurde inzwischen stattgegeben. Das Seminar wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen ermöglichen, sich über zukünftige Entwicklungen und Bedarfe in diesem Feld auszutauschen.

  Personengruppe schaut in die Kamera © privat Gruppenfoto der Entwicklerinnen und Entwickler des vtk-m Code Sprints im April 2017 an der University of Oregon mit Professor Hank Childs (hintere Reihe, 6. v.r.) und Dr. Bernd Hentschel (hintere Reihe, 4. v.l.).

Wie sehen Ihre Pläne für die weitere Zusammenarbeit aus?

Hank und ich haben ein sehr positives Fazit des Besuchs gezogen und bauen seitdem die Kooperation sukzessive aus. Das Dagstuhl-Seminar ist ein erstes, konkretes Ergebnis. Die Ergebnisse der Arbeiten zur Partikelverfolgung wurden zur Veröffentlichung angenommen. Ich war im Oktober im Anschluss an eine Konferenzreise für eine weitere Woche in Oregon. Hank plant, Teile eines anstehenden Forschungsfreisemesters in unserer Gruppe zu verbringen. Mein nächster Besuch ist für Mai 2018 geplant. Wir überlegen, durch den Austausch von Doktorandinnen und Doktoranden weitere Verbindungen zwischen den Gruppen zu etablieren. Außerdem ist eine Zusammenarbeit auf Projektebene geplant, zum Beispiel durch eine aktive Aachener Beteiligung an der Entwicklung von vtk-m.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen beziehungsweise den Studierenden wahrgenommen?

Die Arbeit in Hanks Team ließ sich vor allem durch zwei Worte beschreiben: offen und unkompliziert. Ich war sehr überrascht, wie schnell ich mich zu Hause gefühlt habe. Ich wurde herzlich empfangen und konnte sehr schnell in die Arbeit vor Ort einsteigen und einen Beitrag leisten.

Ich habe das Wir-Gefühl als sehr ausgeprägt empfunden. Studierende sehr unterschiedlicher Nationalitäten, Erfahrungsstufen – Bachelor, Master oder Doktoranden – und Hintergründe arbeiten eng zusammen. Es wird ein reger fachlicher Austausch gepflegt. Diskussionen finden stets auf Augenhöhe statt. Das Team feiert Erfolge gemeinsam. Formale Abläufe sind auf ein notwendiges Minimum beschränkt. Konkrete Zusammenarbeit entsteht ad hoc, wann und wo es die aktuelle Aufgabe erfordert. Die gesamte Atmosphäre „atmet“ Kreativität und dies schlägt sich in fruchtbaren Ideen nieder, die letztendlich den – auch von außen beobachtbaren – Erfolg des Teams ermöglichen.

Können Sie für diesen Aufenthalt ein Highlight, ein Erlebnis oder einen Moment nennen, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ich tue mich schwer, aus dem sehr ereignisreichen Aufenthalt im April 2017 ein einzelnes Erlebnis herauszupicken. Etwas Bemerkenswertes ergab sich interessanterweise, als ich im Oktober nach Oregon zurückkam. Es fühlte sich an, als wäre ich überhaupt nicht weg gewesen. Ich wurde auf dem Flur herzlich von Kollegen begrüßt, erhielt wie selbstverständlich „mein“ Büro, hatte binnen einer halben Stunde alles Nötige zum Arbeiten beisammen und konnte wieder einsteigen. Dementsprechend produktiv war die folgende Woche – obwohl es dieses Mal nur eine werden sollte. Und gerade deshalb möchte ich mich für die Unterstützung durch das Theodore von Kármán-Programm bedanken. Der durch die Förderung ermöglichte Aufenthalt war ein voller Erfolg für mich – persönlich wie professionell. Hank und ich sind uns einig, dass wir auf diese Weise eine Kooperation gestartet haben, die uns noch lange Zeit begleiten wird. Vielen Dank dafür.

Dr. Hentschel, herzlichen Dank für das Interview!