Direkte Kopplung des Higgs-Bosons an Top-Quarks
Beobachtung am CERN, die heute in Physical Review Letters veröffentlicht wurde. Physikalische Institute der experimentellen Teilchenphysik der RWTH Aachen leisteten zentrale Beiträge zu diesem Meilenstein.
Am 4. Juli 2012 berichteten zwei der Experimente am Large Hadron Collider (LHC) des CERN, ATLAS (A Toroidal LHC ApparatuS) und CMS (Compact Muon Solenoid), unabhängig voneinander über die Entdeckung des Higgs-Bosons. Die Ankündigung sorgte weltweit für Schlagzeilen: Die Entdeckung bestätigte die Existenz des letzten fehlenden Elementarteilchens des Standardmodells, ein halbes Jahrhundert nachdem das Higgs-Boson theoretisch vorhergesagt wurde. Gleichzeitig markierte die Entdeckung auch den Beginn eines experimentellen Programms zur Bestimmung der Eigenschaften des neu entdeckten Teilchens. Die CMS-Kollaboration berichtet heute in den Physical Review Letters über einen von ihr erreichten Meilenstein in diesem Programm. Die Physikalischen Institute der experimentellen Teilchenphysik der RWTH Aachen leisteten dazu zentrale Beiträge.
Im Standardmodell koppelt das Higgs-Boson an Fermionen, wobei die Kopplungsstärke proportional zur sogenannten Fermionenmasse ist. Während damit verbundene Zerfallsprozesse bereits beobachtet wurden, ist der Zerfall in Top-Quarks, die schwersten bekannten Fermionen, kinematisch, also sich aus der Bewegung ergebend, unmöglich. Daher werden alternative Wege benötigt, um die Kopplung des Higgs-Bosons mit dem Top-Quark direkt zu untersuchen. Möglich wird dies durch die Produktion eines Higgs-Bosons und eines Top-Quark-Antiquark-Paares. Über diesen nun erstmals beobachteten Produktionsmechanismus hat die CMS-Kollaboration eines der Hauptziele des Higgs-Physikprogramms erreicht.
„In unserer Analyse haben wir modernste Methoden eingesetzt, sogenannte Deep-Learning-Verfahren, die heutzutage unter anderem für Sprach- und Handschrifterkennung bei Computern eingesetzt werden. Hierdurch konnten wir die besonders hohe Empfindlichkeit erreichen“, erklärt Professor Martin Erdmann, Lehr- und Forschungsgebiet Experimentalphysik (Hochenergiephysik). Dieser Meilenstein sei deutlich früher als erwartet erreicht worden, sagen übereinstimmend Professor Thomas Hebbeker, Vorsitzender der Teilchenphysiker der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, und Professor Lutz Feld, designierter Sprecher der deutschen CMS-Gruppen. Professor Achim Stahl ergänzt, dass dies auf die Verfügbarkeit exzellenter experimenteller Daten zurückzuführen ist, die auf der hohen Qualität der auch an der RWTH Aachen gebauten Detektoren beruht. „Hier wurden besonders ausgefeilte Analysemethoden eingesetzt“, erläutert Professor Alexander Schmidt (alle ebenfalls RWTH Aachen), die sicherstellen, dass die erforderliche statistische Genauigkeit erreicht werden konnte.
Mit der Beobachtung der Kopplung zwischen den beiden schwersten Elementarteilchen des Standardmodells hat das LHC-Physikprogramm zur Charakterisierung und zum besseren Verständnis des Higgs-Bosons einen wichtigen Schritt getan. Während die Stärke der gemessenen Kopplung mit der Erwartung des Standardmodells übereinstimmt, lässt die Präzision der Messung noch Raum für Beiträge von neuen physikalischen Phänomenen. In den kommenden Jahren werden viel mehr Daten gesammelt und die Genauigkeit verbessert, um zu sehen, ob sich Anzeichen für Physik jenseits des Standardmodells erkennen lassen.
Redaktion: Presse und Kommunikation