Professor Aloys Krieg
Prorektor für Lehre, RWTH Aachen
Sollten wir nach der Pandemie wieder zu vollständigen Live-Kursen zurückkehren, weiterhin reine Online-Lehre anbieten, oder hybride Lehrangebote machen?
Die Zukunft wird sicher in hybriden Lehrveranstaltungen liegen. Wichtig wäre es, für große Teile der Veranstaltungen neben Präsenzformaten auch digitale Formate vorzuhalten. Damit können wir den unterschiedlichen Interessen der Studierenden, die zum Beispiel durch Arbeit, Kindererziehung, Pflege, Auslandsaufenthalte beeinflusst werden, Rechnung tragen.
Wesentlich ist es, den didaktischen Charakter der Veranstaltung und die zu vermittelnden Kompetenzen vorher genau zu analysieren und festzulegen, um dann das beste Format wählen zu können. Bei diskursiven Veranstaltungen bieten sich da eher Live-Kurse an, wohingegen bei bestimmten Grundlagenfächern oder Auflagenmodulen mehr über reine Online-Lehre nachgedacht werden sollte.
Welche Lehrformate würden Sie sich online wünschen, welche im persönlichen Umfeld?
Wenn es auf die technische Ausstattung in der praktischen Ausbildung ankommt, ist Präsenzbetrieb unverzichtbar. Eine gewisse Parallelität im eher theoretischen Bereich würde die internationale Sichtbarkeit stärken.
Ganz wesentlich sind die Präsenzformate für die Studieneingangsphase, da die Erfahrung zeigt, dass (bisher) nur auf diese Weise eine soziale Integration gelingt, die für den Studienerfolg ganz entscheidend ist.
Große Veranstaltungen, bei denen die Interaktion auch über digitale Tools erreicht werden kann und/oder deren Inhalte eher starr sind, sind prädestiniert für Online-Formate, wohingegen kleinere und inhaltlich sehr dynamische Angebote besser für das persönliche Umfeld geeignet sind.
Ihre Vision: Wie sollte das Nachfolgemodell einer traditionellen Vorlesung aussehen, das Forschen und „Machen“ integriert (ganz gleich, ob in Präsenz oder online)?
Ich würde mir überall in den Ingenieurwissenschaften ein Eingangsprojekt und eine stärkere Anwendungsorientierung in den allgemeinen Grundlagen wünschen, damit die Studierenden schon früh erkennen, was das Ziel der Ausbildung sein soll. Im Laufe des Studiums könnte ich mir nach den theoretischen Grundlagen eine stärkere Projektorientierung vorstellen, die interdisziplinär problem-based-learning hands on anbietet und damit Problemstellungen aus der realen Arbeitswelt adressiert oder kleinere Forschungsaktivitäten ermöglicht.
Braucht man in zehn Jahren noch Dozierende oder reicht eine KI/Roboter, um die Lehre zu halten?
KI/Roboter können Dozierende nicht ersetzen, aber durchaus entlasten. Routineaufgaben können vielleicht durch KI der Maschine übertragen werden. Assistenzsysteme können Lehrenden helfen, die Intensität der vermittelten Inhalte sowie die Aufgabenstellungen in den Prüfungen zielgerichteter und kompetenzorientierter zu gestalten. Dozierende werden stärker die Rolle eines persönlichen Coachs annehmen und auf die individuellen Bedürfnisse der Studierenden stärker eingehen können.
Eine stärkere Berücksichtigung von Learning Analytics und damit eine KI/Roboter-unterstützte Steuerung der Lernangebote und –prozesse kann für die einzelnen Studierenden eine individualisierte Lehre ermöglichen, die mehr Studierende mit einer individuellen Geschwindigkeit zum Abschluss führt.
Aus Industrie und Gesellschaft kommen eine Reihe von Forderungen, was die Universitäten künftig in ihren Curricula unterbringen sollen. Wenn das Studium nicht verlängert werden soll, muss man auch fragen, was wir denn künftig nicht mehr benötigen. Haben Sie dazu Vorschläge?
Ein Studium muss stärker kompetenzorientiert organisiert werden. Routinen, die jederzeit online verfügbar sind, werden in der Wissensvermittlung weniger wichtig sein. Allerdings müssen wir das Verständnis vermitteln, was hinter den Routinen abläuft, und wir müssen die Bewertung stärker in den Vordergrund stellen. Die Lehre sollte die Elemente des „one-size-fits-all“ Ansatzes reduzieren und stärker auf das persönliche Profil, die Fähigkeiten und Neigungen des einzelnen Studierenden zugeschnitten werden.