Professorin Rianne Letschert

 

Rector Magnificus, Maastricht University

Prof. dr. Rianne Letschert Urheberrecht: © Harry Heuts

Sollten wir nach der Pandemie wieder zu vollständigen Live-Kursen zurückkehren, weiterhin reine Online-Lehre anbieten, oder hybride Lehrangebote machen?

Der Lockdown, der uns ja quasi über Nacht vor die Herausforderung gestellt hat, auf Online-Lehre umzustellen, hat uns die Möglichkeiten und Begrenzungen der virtuellen Format wie auch der traditionellen Präsenzlehre vor Augen geführt. Wir haben somit gleichermaßen wichtige Einsichten über die Lehre in Zeiten vor Corona als auch in der Situation der coronabedingten Einschränkungen gewinnen können. Natürlich muss man hier unterscheiden zwischen den „Notformaten“, die im März 2020 unter Zeitdruck online eingeführt wurden, und den sorgsam entwickelten Online- und Blended-Learning-Formaten, die wir als Universität, die großen Wert auf qualitativ hochwertige Lehre legt, anbieten möchten, sobald wir sämtliche Erfahrungswerte aus der Pandemie in die Programmentwicklung eingebracht habend und die gesetzlichen Auflagen nicht mehr in Kraft sind. Die Weiterentwicklung der Lehrformate, und das betrifft auch unere Präsenzformate, wird die Erfahrungen aus der Coronazeit berücksichtigen, so dass wir das Beste aus beiden Welten in künftigen Blended-Learning-Formaten integrieren können.

Der Lockdown hat uns ebenso vor Augen geführt, wie wichtig soziales Miteinander ist. Wo wir keine Möglichkeit hatten, uns vor Ort auf dem Campus zu treffen, sind die spontanen sozialen Interaktionen gang einfach unter den Tisch gefallen, und diese bilden ein ganz wichtiges verbindendes Element, sowohl für die Lehrenden als auch die Studierenden. Die Verbindung beziehungsweise die Einstellung, die die Studierenden dem Studium und auch der Hochschule gegenüber entwickeln, wird oft in drei Dimensionen untergliedert: emotional-affektive, verhaltensmäßige und kognitive Bindungskomponenten. Diese Dimensionen interagieren und können sich wechselseitig verstärken oder abschwächen. Wenn wir diese Bindung oder auch Beziehung der Studierenden zu Lehre und Hochschule in diesen drei Dimensionen betrachten, so sind wir in der Lage, systematisch einzuschätzen, wie wir als Universität das Erleben und die Erfahrungsmöglichkeiten der Studierenden in allen Facetten besser gestalten können: in Lehrmodulen, Studiengängen, pädagogischen Ansätzen, administrativen Prozessen, Einrichtungen, in der Leistungsbewertung, und in allen weiteren Komponenten, die ein Studium ausmachen.

Daher ist es von zentraler Bedeutung, sowohl synchrone und asynchrone Aktivitäten in der Lehre zu berücksichtigen – bei Präsenz- und Onlineangeboten sowie Blended-Learning-Formaten gleichermaßen –, um der Sozialisierungsfunktion der Lehre Rechnung tragen: durch das gemeinsamen Lernen und Arbeiten fühlen sich die Studierenden (und auch die Lehrenden) viel stärker mit der Materie und auch mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen verbunden. Das erzielt man durch Etablierung so genannter „Communities of Inquiry.“ Community of Inquiry-Ansatz hilft dabei, sinnvolle Lernerfahrungen durch die drei Elemente kognitive Präsenz, soziale Präsenz und Lehrpräsenz zu ermöglichen. Die Etablierung einer Online-Community erhöht die Lernqualität und das studentisches Engagement sowie die Motivation der Lernenden im Rahmen der Online- oder Blended-Learning-Angebote. Ganz wichtig ist hier, dass sich Lehrende und Studierende als Individuen mit ihren ganz eigenen Persönlichkeiten in einem digitalen Umfeld einbringen und präsentieren können.

Braucht man in zehn Jahren noch Dozierende oder reicht eine KI/Roboter, um die Lehre zu halten?

Ganz eindeutig werden wir weiterhin Dozentinnen und Dozenten brauchen. Da wird es keine „one fits all“-Lösungen geben, sondern Kombinationen von Präsenz-, Online-, und Blended-Learning-Formaten.

Aus Industrie und Gesellschaft kommen eine Reihe von Forderungen, was die Universitäten künftig in ihren Curricula unterbringen sollen. Wenn das Studium nicht verlängert werden soll, muss man auch fragen, was wir denn künftig nicht mehr benötigen. Haben Sie dazu Vorschläge?

Das finde ich schwer zu beantworten. Heute benötigen Studierende noch Module zu Medienkompetenz im Sinne einer „digital literacy“, aber das könnte sich in zehn Jahren erübrigt haben, je nach Stand der digitalen Transformation. Die Studierenden werden in der Lage sein müssen, rasch auf Veränderungen zu reagieren – sozusagen resilient in Bezug auf Wandel zu werden. Die Ausbildung diesbezüglicher Fähigkeiten und Kompetenzen muss ihren Weg in die Lehrpläne finden – allerdings weniger im Sinne eines traditionellen Wissenstransfers. An der Maastricht University sind wir bereits für unser problembasiertes Lernen bekannt, das die Studierenden ermutigt, eine aktive Rolle im Lernprozess zu übernehmen.