Raphael Kiesel

 

Promotionsstudent und Oberingenieur am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen

Raphael Kiesel Urheberrecht: © privat

Sollten wir nach der Pandemie wieder zu vollständigen Live-Kursen zurückkehren, weiterhin reine Online-Lehre anbieten, oder hybride Lehrangebote machen?

Hybridangebote sollten Vorrang haben. Bereits seit vielen Jahren wird aus unterschiedlichen Gründen dafür gekämpft, da gute hybride Lehre eine höhere Flexibilität (gerade für die Studierenden, die nebenher arbeiten müssen) und Barrierefreiheit ermöglichen, und nebenbei die Eigenverantwortung der Studierenden stärken.
Leider haben sich vor der Pandemie noch viele Dozierende geweigert, ein einfaches Video zu machen. Das hat sich nun glücklicherweise geändert.

Wichtig ist aber: Eine einfache 1:1 Übertragung des Präsenz-Lehrangebots in eine digitale Kommunikationsform ist auch nicht die Lösung (siehe auch Frage 2). Dies beginnt schon bei „einfachen“ Dingen wie zum Beispiel Latenz im Fragenstellen: Bis die Frage getippt ist, ist der Dozent schon drei Themen weiter. Wichtige Interaktion und wichtiger Diskurs werden gerade in großen Veranstaltungen nur schwierig möglich, und die Dozierenden werden noch weniger nahbar, als sie es ohnehin schon sind. Echte hybride Lehre darf also kein schlichter Wechsel des Mediums sein, sondern muss angepasste Konzepte haben, die Interaktion im digitalen Raum ermöglichen.

Zudem fehlt bei vollständiger digitaler Lehre das Miteinander in der Vorlesung, das gemeinsame Mittagessen etc. mit dem Kommilitonen.

Nun gilt es also – mehr denn je – herauszufinden, wie gute Hybridlehre geht! Wie muss der Onlineteil gestaltet werden? Und wie findet der Diskurs im Hörsaal statt (auch unter Betrachtung der CP-bedingten Vorgaben)?

Welche Lehrformate würden Sie sich online wünschen, welche im persönlichen Umfeld?

  • Vor Ort:
    • Labore bzw. Praxisteil (zum Beispiel Medizin)
    • Kleingruppenübungen bzw. generell die kleinen Vorlesungen
    • „Diskussionen“ als Teil eines guten Blended Learning Konzeptes
  • Online:
    • „Theorieteil“ der Großveranstaltungen als Vorbereitung für die Diskussion im Hörsaal
    • Dies können sich die Studierenden dann auch noch einmal anschauen, die Dozierenden können dies (gerade in den Grundlagen) auch wiederverwenden und haben dann abwechslungsreichere Diskussionen im Hörsaal

(Wie) Kann man Lehre gemeinsam mit Firmen organisieren? Ist das anzustreben?

Zuerst die Frage: Ist das anzustreben? Prinzipiell: Ja! Aber wichtig ist, dass man die Person/ Firma kennt und es keine Werbeveranstaltung wird, sondern wirklich wichtige Inhalte transportiert werden. Zudem erscheint mir eine solche Kooperation in der Lehre eher im Master sinnvoll, wenn sich die Studierenden überlegt haben, ob sie in die Forschung wollen oder in die Industrie. Für erstere sind dann gegebenenfalls vertiefende Grundlagenkurse spannender als Lehrinhalte aus der Industrie.

Die einfachste Möglichkeit, Lehre zusammen mit Firmen zu gestalten, sind natürlich Gastvorträge. Aber auch Projektkurse sind für die Studierenden sehr interessant und werden an der RWTH seit Längerem praktiziert: zum Beispiel „Case Kurs“ von Prof. Malte Brettel und „Methoden im Qualitätsmanagement (MiQ)“ mit McKinsey.

Braucht man in 10 Jahren noch Dozierende oder reicht eine KI/Roboter, um die Lehre zu halten?

Es sollte der Anspruch der Dozierenden sein, dass sie durch Empathie, Ausstrahlung, Vortragsstil etc. nicht ersetzt werden können. Die Anforderungen an die Dozierenden werden also größer, aber sie werden in naher Zukunft wohl nicht vollständig durch KI ersetzt werden.

Ihre Vision: Wie sollte das Nachfolgemodell einer traditionellen Vorlesung aussehen, das Forschen und „Machen“ integriert (ganz gleich, ob in Präsenz oder online)?

Wie das „Machen“ aussieht, hängt stark vom Fach ab. In den Grundlagen (zum Beispiel Mathematik, Mechanik) wird in den Übungen bereits „gemacht“. Hier sollte man nur schauen, wie viel noch „händisch“ gemacht werden muss und wann zum Beispiel industriell und forschungsseitig genutzte Programme in der Lehre eingesetzt werden sollten (zum Beispiel CAD-Programme, R, Python).

In den Anwendungsnäheren Fächern könnten die Grundlagen als Videos vermittelt werden, um dann möglichst schnell in kleineren Gruppen ans „Machen“ zu kommen.

Generell muss man bei diesen Überlegungen aber immer auch mitdenken, was eine Universität überhaupt leisten kann. Wie groß kann eine Universität werden, wenn die Lehre immer „Individuum-zentrierter“ werden soll? Die RWTH zum Beispiel wächst stetig, die Anzahl der Studierenden nimmt zu, und gleichzeitig sollen die Lehrveranstaltungen auch für den Einzelnen „mehr“ leisten. Das führt unweigerlich zur Frage nach Ressourcen, wenn man das traditionelle Vorlesungsmodell zugunsten mehr Praxisnähe und Individualität umbauen möchte.

Aus Industrie und Gesellschaft kommen eine Reihe von Forderungen, was die Universitäten künftig in ihren Curricula unterbringen sollen. Wenn das Studium nicht verlängert werden soll, muss man auch fragen, was wir denn künftig nicht mehr benötigen. Haben Sie dazu Vorschläge?

Die Inhalte der Grundlagenkurse müssen hinterfragt werden, und im Master sollte es mehr Wahlbereiche geben. Auch durch die Einbindung und Anerkennung von zum Beispiel Hiwi-Jobs, Engagement in Studentischen Initiativen könnten einige Forderungen nach Soft Skills abgedeckt werden (wie zum Beispiel in DELFT). Dafür wären jedoch mehr Freiheiten hinsichtlich der Akkreditierung notwendig. Die Systemakkreditierung der RWTH ist hier sicherlich ein Vorteil, aber wenn Curricula nur alle X Jahre geändert werden können, ist das System einfach zu träge.

Wie können Universitäten besser in der Lehre von Transdisziplinarität werden und wie können sie Studenten dabei helfen, ihre Denkweise in Transdisziplinarität zu verbessern?

Formate und Möglichkeiten zur Stärkung der transdisziplinären Fähigkeiten sind vorhanden, zum Beispiel in Form von Hiwi-Jobs und Engagement in studentischen Initiativen. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie diese Formen des Lernens neben dem eigentlichen Studium Anerkennung in der Lehre finden könnten. Das würde nicht nur „Last“ von den Dozierenden nehmen, sondern vor allem auch die Eigenständigkeit der Studierenden und ihre Fähigkeit zum Arbeiten in transdiziplinären Teams stärken.